BRIGITTE Karin Prien im Gespräch zum neuen Bildungs- und Familienministerium

Porträt von Karin Prien
Bundesfamilienministerin Karin Prien © Thomas Köhler/photothek.de

BRIGITTE: Frau Prien, wie geht es Ihnen nach den ersten Wochen im neuen Amt?

Katrin Prien: Danke, ausgezeichnet. Langsam ist mein Team auch komplett, das dauert ja alles etwas, vor allem, wenn sich das Ministerium fachlich neu ausrichtet.
 
BRIGITTE: Der Bereich Bildung kam hinzu …
 
Karin Prien: Das war mein Ziel: Familie und Bildung in einem Ressort. Weil frühkindliche Bildung am besten funktioniert, wenn die Eltern im Boot sind und das Thema auch mit der Grundschule zusammengebracht wird.

 

BRIGITTE: War der Sprung auf die Bundesebene von Ihnen geplant?

Karin Prien: Nein. Ab einer bestimmten Ebene braucht es Menschen, die einen im richtigen Moment sehen mit der Arbeit, die man leistet, der Art, wie man wirkt. Das war bei mir so. Aber natürlich habe ich die Stationen davor, etwa die der Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, schon klar angestrebt, als sich die Chance auftat. Und mir auch sonst die nächste Stufe zugetraut. Das kann ich im Übrigen gerade Frauen raten: sich durchaus realistisch einzuschätzen, aber dann auch zu springen.

BRIGITTE: Die Gelegenheit dazu hatten Frauen in der aktuellen Koalition offenbar nur selten: Zwar ist das Kabinett fast paritätisch besetzt, die meisten Machtpositionen sind aber in Männerhand. Erleben wir da gerade eine Rolle rückwärts?

Karin Prien: Das wäre schade, denn paritätische Besetzung ist gut. Wir müssen das im Blick behalten. Auch ich als stellvertretende Parteivorsitzende der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU). Gerade die Union hat aktuell zu wenig Frauen in Machtpositionen.

BRIGITTE: Die Unionsfrauen müssen lauter werden, forderten Sie. Genügt Lautstärke?

Karin Prien: Natürlich nicht. Es muss auch eine Atmosphäre geben, in der Frauen Lust haben, sich zu engagieren. Und in der sie auch willkommen sind, wenn sie einen Machtanspruch formulieren. Denn dann wird es oft schwierig. Das habe ich selbst erlebt.

BRIGITTE: Meinen Sie damit Ihre Zeit in der Hamburger CDU? Manche nannten Sie dort "übermotiviert". Und mit Ihrer Forderung, auf den aussichtsreichen ersten vier Listenplätzen zur Bundestagswahl 2017 auch Frauen zu platzieren, scheiterten Sie.

Karin Prien: Das mit den Listenplätzen war tatsächlich ein Unding. Schließlich gab es schon damals in der Partei ein Quorum: Auf drei aufeinanderfolgenden Plätzen soll es mindestens eine Frau geben. Frauensolidarität ist wichtig, habe ich damals gelernt. Doch ebenso wichtig ist, dass die, die schon Macht haben - oft Männer -, Parität vorantreiben. Zudem braucht es Quoten.

BRIGITTE: Wir fragen uns, ob solche klassischen Gleichstellungsthemen künftig nicht untergehen werden, angesichts des Megathemas Bildung, für das Sie nun zuständig sind.

Karin Prien: Ich glaube, es gibt viele Schnittstellen: Wenn wir über eine gelingende Bildungsbiografie für Kinder sprechen, sprechen wir auch über Familien und über Gleichstellung, weil eine gute Bildung von Kindern viel damit zu tun hat, wie Männer und Frauen sich die Arbeit aufteilen und ob sie eine gute Kinderbetreuung vorfinden. Die Frage ist ja auch: Definiere ich Gleichstellungspolitik nur als Minderheitenthema, bei dem man mehr Rechte erkämpft für bestimmte Gruppen wie Frauen oder LGBTQ+? Oder definiere ich sie stärker als Vereinbarkeitsthema und hole sie so in die Mitte der Gesellschaft? Letzteres wäre mein Weg.

BRIGITTE: Das klingt, als seien Frauen ohne Kinder und queere Personen für Sie nicht "Mitte der Gesellschaft".

Karin Prien: Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und bei den vielen Themen im Ministerium soll das Verbindende im Mittelpunkt stehen. Gleichzeitig mache ich aber immer deutlich: Ich akzeptiere keine Diskriminierung von Minderheiten und keine Diskriminierung von Frauen, ob mit oder ohne Kinder. In diesem Haus wird gemeinsam zum Wohle aller gearbeitet.

BRIGITTE: Was wollen Sie in puncto Vereinbarkeit auf jeden Fall erreichen?

Karin Prien: Etwa den Mutterschutz für Selbstständige. Als Anwältin habe ich erlebt, wie herausfordernd es ist, wenn man diese Zeit komplett aus eigenen Ersparnissen finanzieren muss. Ich will auch ans Elterngeld ran.

BRIGITTE: Sie wollen es erhöhen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen?

Karin Prien: Ja, wobei es hier einen Haushaltsvorbehalt gibt. Läuft die Wirtschaft besser, gibt es mehr Steuereinnahmen, wäre das finanzierbar. Schon jetzt können wir uns aber um eine Verkürzung der oft langen Wartezeiten bei der Beantragung kümmern. Auch die Aufteilung der Bezugsmonate werden wir neu justieren, um eine bessere Beteiligung der Männer hinzukriegen.

BRIGITTE: Wie haben Ihr Mann und Sie sich die Betreuung Ihrer drei Söhne aufgeteilt? Als Sie Mutter wurden, gab es ja noch keine bezahlte Elternzeit.

Karin Prien: Wir haben versucht, möglichst gleich viel zu übernehmen. Gerade anfangs, als ich noch gestillt habe, war aber ich es, die die Arbeitszeit reduziert hat, auf rund sechs Stunden pro Tag. Und weil meine Eltern zu weit weg wohnten, um uns zu unterstützen, haben wir viel Geld in Kinderfrau, Au-pair und in die Kita gesteckt. In den ersten Jahren floss so ein großer Teil unseres Einkommens in die Kinderbetreuung.

BRIGITTE: Das können sich nur wenige leisten.

Karin Prien: Das war ein sehr individueller Weg. Daher planen wir ja auch, es Familien zu ermöglichen, haushaltsnahe Dienstleistungen in höherem Umfang als bisher von der Steuer abzusetzen. Will der Staat, dass die Menschen mehr Kinder kriegen, sollte er das zumindest steuerlich stärker unterstützen.

BRIGITTE: Wenn Ihnen Vereinbarkeit so wichtig ist, stört es Sie nicht, dass Ihr Regierungschef fordert, die Deutschen müssten wieder mehr arbeiten? Das wird doch schon wegen der fehlenden Kita-Plätze schwierig.

Karin Prien: Das stimmt. Wir machen daher gerade eine Bestandsaufnahme. In Ostdeutschland gibt es wegen der geringen Geburtenrate und der Wegzüge teils einen Erzieherüberschuss: Könnte der helfen, die Lage im Westen zu verbessern? Und wie ließen sich Arbeitsbedingungen verbessern, sodass Fachkräfte länger im Job bleiben? Das ist natürlich vor allem Ländersache. Mit denen will ich aber gern besprechen, wie der Bund unterstützen könnte.

BRIGITTE: Und dann sollen möglichst alle Eltern Vollzeit arbeiten?

Karin Prien: Ich finde: Mit kleiner Teilzeit oder Minijobs tut sich niemand einen Gefallen, Stichwort Altersarmut. Aber natürlich müssen Eltern ihr Familienmodell frei wählen und bei dem Thema auch von ihren Arbeitgebern unterstützt werden, etwa mit flexiblen Arbeitszeitmodellen.

BRIGITTE: Vom Vereinbarkeitsthema abgesehen: Was steht noch auf Ihrer Agenda?

Karin Prien: Die Situation von Alleinerziehenden muss sich verbessern. Wir müssen zum Beispiel säumige Unterhaltszahler mehr in die Pflicht nehmen. Wenn die sich bei der Steuererklärung bewusst arm rechnen, ist das kein Kavaliersdelikt, sondern eine Sauerei. Da könnte es helfen, zum Beispiel den Führerschein zu entziehen.

BRIGITTE: Das Thema Kinderarmut packen Sie nicht ganz so beherzt an. Im Koalitionsvertrag steht dazu eher wenig.

Karin Prien: Für mich hat Priorität, von Anfang an für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen. Ich finde: Kinderarmut ist Bildungsarmut. Und die bekämpft man nicht, indem man den Eltern einfach mehr Geld zur Verfügung stellt. Wir werden daher noch mehr in Kitas und Schulen investieren und besonders in Kitas und Schulen in herausfordernden Lagen die Bildungsgutscheine erhöhen. Ich werde mich auch einsetzen für eine verpflichtende Sprachdiagnostik von Vierjährigen und bei Bedarf eine verpflichtende Sprachförderung.

BRIGITTE: Spielt da auch Ihre Biografie eine Rolle? Als Sie mit vier aus den Niederlanden hierherkamen, verstanden Sie im Kindergarten kein Wort.

Karin Prien: Ja, und ich war darüber sehr unglücklich. Ich erinnere mich aber auch, dass ich mich schon vier Wochen später gut zurechtfand. Das heißt: Die Bildungssprünge von Kindern sind enorm. Ich war aber die Einzige in der Gruppe, deren Muttersprache nicht Deutsch war. Heute ist dieser Anteil in Kitagruppen größer, auch die Erzieherinnen sprechen mitunter nicht gut Deutsch. Daher ist es wichtig, extra zu fördern.

BRIGITTE: Viele Frauen beschäftigte im vergangen Jahr die Debatte um eine Entkriminalisierung von Abtreibungen. Laut Studien wären 75 Prozent der Deutschen dafür. Sie auch?

Karin Prien: Ich teile hier die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts: Die Selbstbestimmungsrechte der Frau und das Lebensrecht des Kindes müssen abgewogen werden. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen, wozu auch der Schutz des Ungeborenen zählt. Daher steht der Abbruch im Strafgesetzbuch. Die aktuelle Regelung empfinde ich als mühsam und gründlich ausgehandelten Kompromiss - vor allem angesichts der schwierigen Debatten der 1990er, die ich selbst miterlebt habe.

BRIGITTE: Auch wenn das bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen, bedroht werden, und manche Frauen stundenlang fahren müssen, um versorgt zu werden?

Karin Prien: Die Versorgung muss besser werden. Dahinter stehe ich, wie auch hinter dem Ziel des Koalitionsvertrags, die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus zu erweitern. Für eine Debatte, wie wir die Stigmatisierung hier beenden können, bin ich daher offen.

BRIGITTE: Einen Vorstoß Richtung Straffreiheit wird es von Ihnen aber nicht geben?

Karin Prien: Nein. Man sollte gut überlegen, ob man den mühsam errungenen Kompromiss wieder aufschnürt und so zur Polarisierung einer Debatte beiträgt, deren rechtlicher Ausgang unsicher ist.

BRIGITTE: Wir sprachen anfangs über Hürden, auf die Frauen in der Politik stoßen. Auch Anfeindungen im Netz gehören bei vielen dazu. Bei Ihnen auch?

Karin Prien: Tausendfach. Oft geht es ums Aussehen, das Alter, ein erschöpftes Gesicht. Viel Frauenhass ist dabei, viel Verachtung. Ich finde es teils absurd, was da kommt.

BRIGITTE: Wie reagieren Sie?

Karin Prien: Selten zeige ich an. Etwa als einer drohte, mich zu verbrennen. Ich lasse auch alle Kommentare stehen. Die Schreiber disqualifizieren sich so selbst, finde ich. Und es entspricht meiner Grundhaltung bei kontroversen Themen, auch in der Politik: Lieber auf Akzeptanz hinarbeiten als auf Reaktanz. Mal sehen, wie das klappt. Wir sprechen uns dazu wieder in vier Jahren.